Friday, December 27, 2013
"Im Schwarm - Ansichten des Digitalen" von Byung-Chul Han
"Im respektvollen Umgang mit anderen hält man sich zurück mit neugierigem Hinsehen. Der Respekt setzt einen distanzierten Blick, ein Pathos der Distanz voraus. Heute weicht er einer distanzlosen Schau, die charakteristisch ist für das Spektakel. Das lateinische Verb spectare, worauf Spektakel zurückgeht, ist ein voyeuristisches Hinsehen, dem die distanzierte Rücksicht, der Respekt (respectare) fehlt."
"Die Öffentlichkeit setzt unter anderem ein respektgeleitetes Wegsehen vom Privaten voraus. Die Distanznahme ist konstitutiv für den öffentlichen Raum."
"Das digitale Medium als solches privatisiert die Kommunikation, indem es die Produktion von Information vom Öffentlichen ins Private verlagert. Roland Barthes definiert die Privatsphäre als "jene Sphäre von Raum, von Zeit, wo ich kein Bild, kein Objekt bin". So gesehen hätten wir heute gar keine Privatsphäre mehr, denn es gibt nun keine Sphäre, wo ich kein Bild wäre, wo es keine Kamera gäbe."
"Dank der Datenbrille erreicht die menschliche Wahrnehmung eine totale Effizienz. Nicht nur mit jedem Klick, sondern auch mit jedem Blick macht man Beute. Das Sehen der Welt fällt mit dem Erfassen der Welt zusammen. Das Google Glass totalisiert die Jägeroptik, die alles ausblendet, das keine Beute, das heißt, keine Information verspricht. Das tiefere Glück der Wahrnehmung, des Sehens, aber besteht in deren Effizienzlosigkeit. Es entspringt dem langen Blick, der bei den Dingen verweilt, ohne sie auszubeuten. "
"Man fährt überall hin, ohne zu einer Erfahrung zu gelangen. Man zählt endlos, ohne erzählen zu können. Man nimmt Kenntnis von allen Dingen, ohne eine Erkenntnis zu erlangen."
"Das Übermaß an Information läßt das Denken verkümmern. Das analytische Vermögen besteht darin, vom Wahrnehmungsmaterial alles wegzulassen, was nicht wesentlich zur Sache gehört. Es ist letzten Endes die Fähigkeit, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Die Informationsflut, der wir heute ausgeliefert sind, beeinträchtigt offenbar die Fähigkeit, die Dinge auf das Wesentliche zu reduzieren."
"Die digitale Vernetzung erleichtert die Informationsbeschaffung dermaßen, dass das Vertrauen als soziale Praxis immer mehr an Bedeutung verliert. Es weicht der Kontrolle."
"In der Selbstausleuchtung fallen die pornografische Zurschaustellung und die panoptische Kontrolle in eins. Die Kontrollgesellschaft vollendet sich dort, wo ihre Bewohner nicht durch äußeren Zwang, sondern aus innerem Bedürfnis heraus sich mitzuteilen, wo also die Angst davor, seine Privat- und Intimsphäre aufgeben zu müssen, dem Bedürfnis weicht, sie schamlos zur Schau zu stellen, das heißt, wo Freiheit und Kontrolle ununterscheidbar werden."
"Das Sehen fällt gänzlich mit der Überwachung zusammen."
"Die digitale Überwachungsgesellschaft, die den Zugang zum Kollektiv-Unbewussten, zum künftigen sozialen Verhalten der Massen hat, entwickelt totale Züge. Sie liefert uns der psychopolitischen Programmierung und Kontrolle aus. Das Zeitalter der Biopolitik ist damit vorbei. Wir steuern heute dem Zeitalter digitaler Psychopolitik zu."
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