Sunday, June 26, 2011

"Wollen die Leute denn wirklich nur einkaufen und essen?"



Sagt ungläubig Hedi Djebnoun, Bewohner des gentrifizierten Viertels Marais in Paris.
Er meint damit wohl, dass unser Verhalten in der Stadt die Stadt verändert. Gentrifizierung. Die Stadt wird zur Erinnerung an die Stadt, Shoppen und Essen passiert vor einer Stadt als Kulisse.
Zu sehen im Moment bei arte+7 in der Dokumentation: "Kultur oder Kommerz - der Kampf um die Stadt" .
An Beispielen in Hamburg, London, Paris, Berlin und Leipzig wird Gentrifizierung von Stadtvierteln in verschiedenen Phasen betrachtet.
Insgesamt ein sehr umfassender Gentrifizierungsüberblick, kommentiert von Hartmut Häußermann.
(Stadtsoziologe, wohnhaft im Viertel Prenzlauer Berg, Berlin)
Anschaulich erläutert er zum Beispiel, wie nach einer Gentrifizierung die Finanzkraft und nicht mehr die Ethnie, der Beruf oder die soziale Schicht die Bewohner im Viertel einen.
Der Ablauf ist bekannt. Kreative finden einen günstigen spannenden Ort und basteln, der Ort wird attraktiv für Investoren, diese kaufen, das Viertel wird saniert, die Mieten steigen, finanzstarke Käufer und Mieter verdrängen Anwohner und Kreative. Nach mir die Sintflut, vor mir der Kinderwagen.
Zunächst ist Gentrifizierung natürlich Spaß: In Neukölln macht Josephine Seeger Performance, sie hat dort Ihre "Spielwiese" gefunden. Die Anwohner finden die Entwicklung gut: "Berlin ist offen".
Guillaume, Franzose, ist mit seinem Plattenladen von Mitte, "Spielplatz für Touristen zum Einkaufen", nach Neukölln gezogen. Dabei fand er es wichtig, einer der ersten dort zu sein.
Die Stadtplanung hilft den Künstlern und der Gentrifizierung mit günstigen Zwischennutzungsmöglichkeiten auf die Sprünge. Und schließlich steigen in Neukölln die Mieten.
Verdammt, und nun alle ab Richtung Schöneberg, oder direkt weiter nach Charlottenburg? Was kommt überhaupt nach Berlin? Und was genau ist eigentlich das Problem, wenn Städte sich verändern, Viertel durch kreative Pioniere umstrukturiert werden? Berlin zum Beispiel ist groß, es scheint, als würde jeder einen bezahlbaren Platz zum Leben in dieser lebendigen Stadt finden.
Häußermann bringt das Problem auf den Punkt: Der Frieden der europäischen Stadt ist gefährdet, wenn sich soziale Gegensätze in der Stadt verschärfen. Das ist natürlich fatal, denn der größte Luxus, den wir in Europa haben, sind die friedlichen, öffentlichen Städte.
Doch was kann man dagegen tun? Sollten Kreative sich mit schlechten, teuren Arbeitsbedingungen zufrieden geben und sich nicht mehr vom Fleck rühren? Muß die Suche nach der kuscheligen Authentizität sozial schwacher Bezirke als Lifestyle-Kitsch enttarnt und verdammt werden? Das findet Häußermann natürlich nicht. Er schlußfolgert am Ende der Dokumetation, dass man das Risiko eingehen muß, eine stärkere kulturelle und soziale Mischung in Quartieren zu haben. Naturschutz für Anwohner ist keine Lösung. Es gibt keine Garantie für das ideale Quartier am Ende der Gentrifizierunsprozesse.
Es sei die Stadtplanung, die für soziale Verhältnisse sorgen muss.
Konkret passiert das in Berlin zum Beispiel über das Amt für Milieuschutz: Selbiges passt bei Sanierungen in geschützten Gebieten auf, dass die Maßnahmen in einem Kostenrahmen bleiben, welcher eine Mietensteigerung mit nicht mehr als 80 Cent pro Quadratmeter zulässt.
Die stadtplanerischen Mittel sind jedoch teilweise kontraproduktiv und beschränkt. Vielleicht liegt doch Verantwortung beim umziehenden Kreativen, der immerhin den Stein ins Rollen bringt. Ich bin so einer. Wie Viele fühle ich mich in einer Monokultur unwohl und möchte umziehen. Bezahlbarer Freiraum, bitte möglichst unbeleckt von Szene. Aber auch die erwähnte "Kuschelauthentizität" sozial schwacher Quartiere hat für mich mittlerweile einen schalen Beigeschmack. Ich finde es durchaus entspannter in Eckkneipen Bier zu trinken als in der Bar. Gerne lerne ich dort auch andere Milieus kennen und erweitere den begrenzten Horizont meines eigenen Milieus. Zugegebenermassen ist das im Moment jedoch cool. In Berlin geht das bis zur detailverliebt nachgebauten Eckkneipe, die vorher gar keine war. Dort gibt es sogar den Futschi-Preis und Benimmregeln mit sozial bedingten Rechtschreibfehlern im Schaufenster. Man kann sagen, dass die Eckkneipe als Clubtarnung das Wohnzimmer der Neunziger und den Bunker der Achtziger abgelöst hat. Reine Deko, Tarnung oder Code.
Es gibt keine Naivität beim Thema Gentrifizierung mehr, das Wort ist in aller Munde. Die Folgen sind bekannt. Aber auch gute Vorbilder, bei denen alte und neue Bewohner voneinander profitierten.
Zum Beispiel wenn die Gewalt durch eine Belebung der Straßen zurück geht. Oder wenn lokale Potentiale berücksichtigt werden. Sei es die KfZ-Werkstatt, die ein Künstler zur Produktion nutzt, oder eine Kooperation der Modedesignerin mit der türkischen Schneiderin. Das funktioniert natürlich nicht für jeden.
Zurück zum Eingangszitat: Vielleicht sollte man als Kreativer die nächste Gentrifizierung in umgekehrter Reihenfolge ins Rollen bringen: Man sucht sich eine Stadt, in welcher auf hohem Niveau geshoppt und gegessen wird. Dazu liefert man dann die fehlende kreative Kulisse. Ab nach Düsseldorf.


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